Torsten Gorn und Lukas Häring (v.l.n.r.) leiten seit September das Schiedsrichterwesen im HVNB. Grafik: HVNB

Das Schiedsrichterwesen im Blickpunkt: Ein Gespräch über Herausforderungen und Visionen

Seit September 2023 leiten Torsten Gorn und Lukas Häring das Schiedsrichterwesens im Handballverband Niedersachsen-Bremen e.V. (HVNB). Im Interview sprechen die Schiedsrichterwarte über ihre ersten Monate im Amt. Das Duo gibt spannende Einblicke in aktuelle Herausforderungen und ihre Vision für das Schiedsrichterwesen im HVNB.

HVNB-Online: Torsten und Lukas, ihr seid nun seit etwas mehr als 150 Tagen im Amt. Wie würdet ihr eure ersten Eindrücke in der Leitung des Schiedsrichterwesens zusammenfassen?

Lukas Häring: Die ersten Tage waren aufregend und intensiv. Es gab viel zu tun und einiges zu lernen, besonders die Einarbeitung in die bestehenden Prozesse und Materialien stellte während der laufenden Saison eine Herausforderung dar. Insgesamt hat der Start aber viel Spaß gemacht und wir haben mit unserem Team viele Dinge, die uns wichtig waren, bereits auf den Weg bringen können.

Torsten Gorn: Ich war überrascht, wie viel wir in kurzer Zeit über die Hintergründe und Abläufe im Schiedsrichterwesen erfahren haben. Von vielen Aufgaben und Prozessen, die im Verband laufen, bekommt man als „normaler“ Schiedsrichter nur wenig mit. Zum Glück wurden wir von Anfang an hervorragend unterstützt, sowohl seitens der Geschäftsstelle als auch von den Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern selbst.

HVNB-Online: Welche Herausforderungen sind in den letzten Monaten besonders hervorgetreten und wie habt ihr diese gemeistert?

Torsten Gorn: Eine der größten Herausforderungen bleibt das Tagesgeschäft, insbesondere die Besetzung aller Spiele mit passenden Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern. Gerade in der aktuellen Zeit mit vielen Krankheitsfällen stellt dies eine enorme Herausforderung dar.

Lukas Häring: Abseits des Tagesgeschäfts ist die Vorbereitung der Strukturreform ein großes Thema. Es gibt viel Unsicherheit bei den Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern, da sich nicht nur die Gesamtstruktur des Verbandes und die Ligeneinteilung, sondern auch die Kaderstruktur im Schiedsrichterwesen ändert. Wir arbeiten daran, diese Unsicherheit zu mindern und unsere Unparteiischen bestmöglich in den Prozess einzubinden. Ganz konkret sind wir aktuell dabei, persönliche Gespräche mit allen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern ab der Verbandsliga zu führen und ihren Einsatz ab der Saison 2024/25 zu planen.

HVNB-Online: Welche übergeordneten Entwicklungen seht ihr im Sport aus Schiedsrichterperspektive?

Lukas Häring: Ein Thema, das uns stark beschäftigt, ist der Umgang miteinander im Sport. Aktuell erleben wir vermehrt Vorfälle, die von Rudelbildungen über verbale Übergriffe bis hin zu Beleidigungen reichen. Diese Verhaltensweisen wollen wir im Handballsport nicht sehen. Daher müssen wir verstärkt darauf achten, wie unsere Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter mit Konfliktsituationen umgehen und wie wir deeskalierend eingreifen können. Dies wird ein Schwerpunktthema auf unseren Lehrgängen sein, um die Fähigkeiten in der Kommunikation und im Konfliktmanagement zu verbessern.

HVNB-Online: Gibt es strategische Veränderungen, die ihr in der Schiedsrichterorganisation eingeführt habt? Wenn ja, welche?

Torsten Gorn: Mit der Einführung der eingleisigen Regionalliga schafft der Verband ein Premiumprodukt. Die Herausforderung ist hierbei für uns, das ganze Projekt für Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter so attraktiv zu gestalten, dass viele Referees sich das Ziel setzen, in der Regionalliga zu pfeifen. Hierfür schaffen wir gerade die entsprechenden Rahmenbedingungen.

Lukas Häring: Genau, es geht darum, die Professionalisierung in der Spitze voranzutreiben und zeitgleich die Basis nicht aus den Augen zu verlieren.

HVNB-Online: Die Vereinbarkeit von unterschiedlichen Zielsetzungen im Schiedsrichterwesen, insbesondere zwischen Breitensport und Leistungssport, kann eine komplexe Aufgabe darstellen. Wie gelingt es euch, diese verschiedenen Aspekte unter einen Hut zu bekommen?

Lukas Häring: Das ist tatsächlich eine große Herausforderung, die viel Fingerspitzengefühl erfordert. Die Unterstützungsbedarfe zwischen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern, die in den unteren Verbandsspielklassen pfeifen, und denen, die in den Regionalligen eingesetzt werden, werden stark auseinandergehen. Folglich benötigen wir individuellere Lehrgänge und Unterstützungsangebote für diese Gruppen. Auch im Coaching-Bereich müssen wir neue Strukturen aufbauen. Denn nicht nur die Anzahl und Intensität der Schiedsrichtercoachings wird sich erhöhen, auch bedarf es angesichts der unterschiedlichen Herausforderungen individuellere Betreuungsansätze. 

Torsten Gorn: Unter dem Strich geht es darum, eine ausgewogene Balance zwischen den Anforderungen in den verschiedenen Ligen zu finden und gleichzeitig sicherzustellen, dass wir genügend Schiedsrichter haben, um alle Spiele zu besetzen. Es ist eine kontinuierliche Herausforderung, aber wir arbeiten daran, Lösungen zu finden.

HVNB-Online: Wo seht ihr das Schiedsrichterwesen im HVNB in drei bis fünf Jahren idealerweise?

Torsten Gorn: Unsere Vision ist es, einen verjüngten und größeren Schiedsrichterkader zu haben, der gut ausgebildet und professionell unterstützt wird – von der Nordsee bis in den Süden Niedersachsens.

Lukas Häring: Absolut. Dafür ist es wichtig, dass wir die Grundlagenarbeit in den Regionen stärken und die Schiedsrichtergewinnung weiter vorantreiben. Wir brauchen eine noch größere Bandbreite an Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter in allen Regionen, die die Grundausbildung absolvieren. Zudem müssen wir sicherstellen, dass der Übergang aus den Regionen in den Landesverband bestmöglich gestaltet wird.

HVNB-Online: Ihr habt Thema Schiedsrichtergewinnung bereits angesprochen. Wie trägt das „Jahr des Schiedsrichters“ zur Gewinnung neuer Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter bei?

Lukas Häring: Die Kampagne erzeugt im Verband eine unfassbar hohe Aufmerksamkeit für das Schiedsrichterwesen und trägt dazu bei, dass die wahrgenommene Wertschätzung der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter steigt. Besonders für die Veranstaltungsreihe „Basis trifft Spitze“, bei der wir Schiris aus unserem Verband zu Bundesligaspielen einladen und ein Meet & Greet mit Bundesliga-Gespannen ermöglichen, erhalten wir herausragendes Feedback. Aber es sind auch die vielen kleinen Maßnahmen, die eine neue Sichtbarkeit für das Schiedsrichterwesen schaffen. Ein gutes Beispiel ist der „Pfiff des Monats“, bei dem monatlich eine besonders knifflige Szene auf den digitalen Kanälen des Verbandes geteilt und diskutiert wird.

Torsten Gorn: Das ‚Jahr des Schiedsrichters‘ hat vieles in Bewegung gesetzt. Damit der Effekt nicht verpufft, ist es von entscheidender Bedeutung, die erfolgreichen Maßnahmen fortzuführen und weiterzuentwickeln. Langfristig muss unser Ziel sein, dass die Kinder in den Vereinen frühzeitig lernen, dass das Pfeifen zum Handballspielen dazugehört – ebenso wie das Spielen und Coachen. Daher ist mein Wunsch, dass die Vereine auch in Zukunft noch mehr Werbung für das Schiedsrichterwesen machen – beispielsweise mit den Werbevorlagen aus der digitalen Toolbox.

HVNB-Online: Abschließend, was fasziniert euch persönlich am Schiedsrichterdasein?

Lukas Häring: Ich wusste früh, dass ich es als Spieler nicht weit bringen werde (lacht). Aber ich habe es schon immer geliebt, guten Handball zu sehen. Da stand für mich schnell die Entscheidung, meinen Karriereweg als Schiedsrichter zu begehen. Mich fasziniert dabei die extreme Herausforderung, immer wieder ins kalte Wasser zu springen und nicht zu wissen, was mich im Spiel erwartet. Durch die immer neuen Herausforderungen habe ich mich auch persönlich und beruflich immer weiterentwickelt. Außerdem ist es wahnsinnig erfüllend, wenn man mit einer guten Leistung aus einem Spiel rausgeht und von Spielerinnen oder Spielern, Offiziellen und Fans positives Feedback erfährt. Und: Als Schiedsrichter vor 3.500 Fans auf der Platte zu stehen und meinen eigenen Pfiff nicht mehr zu hören, gibt einen unbeschreiblichen Adrenalinkick.

Torsten Gorn: Dem kann ich mich nur anschließen. Ich finde es besonders faszinierend, wie unterschiedlich die Wege sein können, die die Menschen an die Pfeife bewegen. Bei Lukas war es so, dass er bereits früh eine Karriere als Schiedsrichter angestrebt hat. Ich hatte dies nie im Sinn und bin nur zum Pfeifen gekommen, weil im Verein akuter Schiedsrichtermangel herrschte und ich vom Schiedsrichterwart meines Vereins direkt angesprochen wurde. Damals habe ich gar nicht darüber nachgedacht, einmal auf Verbandsebene zu pfeifen, geschweige denn, das Schiedsrichterwesen im Verband zu leiten. Das zeigt: Wir müssen ganz unterschiedliche Menschen ansprechen und mit dem ‚Schiedsrichter-Gen‘ infizieren.

HVNB-Online: Vielen Dank für das Interview.

Deine Entscheidung. Aus Liebe zum Spiel.

Unter diesem Motto rückt der Handballverband Niedersachsen-Bremen e.V. (HVNB) in der Saison 2023/24 das Schiedsrichterwesen in den Fokus. Im “Jahr des Schiedsrichters” werden umfangreiche Maßnahmen zur Stärkung des Schiedsrichterwesens umgesetzt. Alle Informationen sowie Maßnahmen sind auf der Kampagnenseite zu finden: Jahr des Schiedsrichters.

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