Mentale Stärke: Volleyball-Bundesliga-Schiedsrichterin Lisa Hamann im Interview
Lisa Hamann ist Bundesliga-Schiedsrichterin im Volleyball und Beraterin für betriebliches Gesundheitsmanagement bei der AOK Niedersachsen. Im Interview teilt Hamann ihre Erfahrungen zur Entscheidungsfindung unter Druck und zum Umgang mit Kritik. Die Einblicke sind nicht nur für aufstrebende Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter von Bedeutung, sondern bieten auch wertvolle Erkenntnisse für den Umgang mit Stress und Druck im Alltag.
HVNB-Online: Liebe Frau Hamann, Sie sind selbst Schiedsrichterin in der Volleyball Bundesliga. Dabei sind Sie regelmäßig im Einsatz und müssen unter Drucksituationen schwierige Entscheidungen treffen. Welche Vorteile sehen Sie im Hinblick auf die körperliche und mentale Gesundheit?
Lisa Hamann: Für mich ist der Gewöhnungsfaktor ein ganz großer Vorteil. Gerade am Anfang der Laufbahn, wenn man in einer Situation unter Druck und Stress steht und knifflige Entscheidungen treffen muss, lernt man mit diesen Situationen gut umgehen zu können. Je öfter man das macht, desto ruhiger wird man auch. Die Erfahrungen auf dem Spielfeld helfen, auch im Alltag unter hohem Druck einen kühlen Kopf zu bewahren.
HVNB-Online: Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter müssen beim Volleyball – ebenso wie beim Handball – häufig im Bruchteil einer Sekunde knifflige Entscheidungen treffen. Wie können Sie Ihre Entscheidungsfindung aus gesundheitlicher Sicht positiv beeinflussen?
Lisa Hamann: Indem man darauf achtet, dass man vor einem Spiel nicht erschöpft ist. Man sollte ausgeschlafen sein und nicht zu viele Themen im Kopf haben. Auch Arbeit und eine große körperliche oder sportliche Belastung am Spieltag können zu Erschöpfung führen und die Entscheidungsfindung negativ beeinflussen. Demgegenüber kann sich eine lockere Sporteinheit sehr positiv auswirken, weil Stresshormone abgebaut werden. Daneben kann die Konzentrationsfähigkeit durch verschiedene Übungen trainiert werden.
HVNB-Online: Auf dem Spielfeld sind selten alle Beteiligten mit der Entscheidung der Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter einverstanden. Wie können Schiris dafür sorgen, dass dennoch weniger Kritik geäußert wird?
Lisa Hamann: Mit einer positiven Ausstrahlung und einem angemessenen Umgang mit den Menschen kann man häufig schon im Vorhinein Situationen deeskalieren. Besonders wenn man ein Team zum ersten Mal pfeift, testen die Spielerinnen sowie Spieler und Offiziellen oft, wie weit sie gehen können. Wenn man in diesen Situationen sicher in seiner Linie ist und klar in der Kommunikation auftritt, kann das die Spielleitung deutlich vereinfachen. Klarheit in der Zeichengebung ist ebenfalls wichtig, um Kritik zu minimieren.
HVNB-Online: Trotzdem kommt es als Schiedsrichterin auch immer mal wieder vor, dass in einem Spiel übermäßig viel Kritik geübt wird. Mit welchen Methoden können Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter lernen, mit Kritik umzugehen und sich selbst zu schützen?
Lisa Hamann: Mir hilft es sehr, mit anderen Schiedsrichter-Kolleginnen und -Kollegen über solche Situationen zu sprechen. Gespannspartner bieten sich vor allem an, um auf der Rückfahrt verschiedene Situationen zu reflektieren. Erfahrene Kollegen können zudem wertvolles Feedback geben.
Daneben hilft eine Videoanalyse im Nachgang von Spielen enorm. Oft ist einem gar nicht bewusst, dass auch das eigene Verhalten zur Eskalation beitragen kann. Die Videoanalyse ermöglicht es, viel über das eigene Auftreten, die Regelauslegung und das Stellungsspiel zu lernen.
HVNB-Online: Wie können Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter diese Kompetenzen abseits des Spielfeldes nutzen?
Lisa Hamann: Als Schiedsrichterin oder Schiedsrichter lernt man, gut zu improvisieren. Mich persönlich stressen Situationen nicht mehr, wenn etwas nicht wie gewünscht läuft. Das hat mir im Alltag und im Beruf geholfen. Durch den Sport lernt man, besser mit verschiedenen Emotionen umzugehen. Eine Gelassenheit kann man im Beruf anwenden, etwa wenn jemand Frust auslässt.
HVNB-Online: Sie sind seit elf Jahren Schiedsrichterin und haben viele Erfahrungen gesammelt. Was können Sie jungen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern mit auf den Weg geben, um mentale Stärke zu entwickeln und sicher auf dem Spielfeld aufzutreten?
Lisa Hamann: Die Entwicklung von Ritualen kann sehr helfen, denn sie können einen in kniffligen Situationen beruhigen. Daneben können auch Atemtechniken genutzt werden, um den Puls zu verlangsamen und eine innere Ruhe zu bewahren.
Einen weiteren essentiellen Aspekt bildet die positive Fehlerkultur. Fehler passieren im Sport, wichtig ist, gut damit umzugehen und sie zu akzeptieren. Dennoch ist es wichtig, dass man die Regeln uneingeschränkt beherrscht. Das verhindert Unsicherheiten und trägt maßgeblich zu einem überzeugenden Auftreten bei.
HVNB-Online: Möchten Sie noch etwas loswerden?
Lisa Hamann: Für junge Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter ist das Entwickeln eines Fingerspitzengefühls elementar wichtig. Die Regeln zu können ist eine wichtige Voraussetzung, aber zu erkennen, wann eine strengere oder lockerere Auslegung sinnvoll ist, steigert den Spielfluss und die Zufriedenheit aller Beteiligten.
HVNB-Online: Vielen Dank für das Interview!