
Mit 80 noch an der Pfeife – Wolfgang Werner lebt seine Schiedsrichter-Passion
Seit 1971 steht der Ostfriese aus Norden auf dem Handballfeld – und denkt auch im hohen Alter noch nicht ans Aufhören
Von Lars Werner
Als mein Vater Wolfgang Werner die Prüfung zum Handball-Schiedsrichter bestand, erhielt der damalige Bundeskanzler Willy Brandt den Friedensnobelpreis für seine Bemühungen zur Verbesserung der Ost-West-Beziehungen und der Vietnamkrieg beschäftigte die Welt. In der Fußball-Bundesliga sorgte ein Skandal aufgrund von Wettmanipulationen für große Aufregung, die deutschen Titel-Triumphe bei der EM und WM mit Legenden wie Günter Netzer und Wolfgang Overath oder Gerd Müller sollten erst ein beziehungsweise drei Jahre später folgen. Will heißen: Mein Vater legte seine Prüfung im Jahr 1971 ab, den Ausweis besitzt er übrigens noch heute.
54 Jahre später ist mein Dad immer noch als Handball-Schiedsrichter aktiv, bei Senioren-, aber mittlerweile noch öfter bei Spielen der Juniorinnen und Junioren. Die Welt ist im Vergleich zu damals eine vollkommen andere, das Geburtsdatum ändert sich bekanntlich nie: Am 7. September 2025 wird mein Vater 80 Jahre – eigentlich alt, aber irgendwie auch immer noch jung. Und er turnt mit der Pfeife im Mund, meistens in Schwarz, immer noch durch die Hallen in Nordwestdeutschland oder noch mehr in Ostfriesland herum. Natürlich alles ein bisschen gemächlicher früher.
Oft wollte er schon aufhören, seine Karriere beenden. Das hatte er auch oft seiner Ehefrau Ursula versprochen, die er 1970 geheiratet hatte. Man wollte ja gerne auch mal verreisen – erst recht im Renten-Alter. Doch freie Wochenenden gab es eben wenig oder gar keine außerhalb der Saison, seine Einsätze ließen das eben nicht zu. Meine Mutter wusste, dass sie da wenig verändern konnte, schließlich war für ihren Mann das Pfeifen eine Passion. Und die ist es noch heute.
Mein Vater hatte ja auch sportliche Höhepunkte erlebt. Mitte, Ende der 80er-Jahre war das, als er sich mit seinen Schiedsrichter-Partnern bis in die 2. Bundesliga hochgearbeitet hatte. Spiele vor 1000 bis 2000 Zuschauern waren da keine Seltenheit – auch wenn man diese Zuschauer selten auf seiner Seite hatte. Die Schiedsrichter-Partner wechselten mit den Jahren, mein Dad stand aber weiter auf der Platte. Als Gespann, aber auch als Solist.
Eigentlich hatte mein Vater dann doch fast schon aufgehört. Doch als meine Mutter im Sommer 2022 starb, war da auch diese neue Leere. Er fragte meine Schwester und mich, ob er nun endlich zwar nicht die Schuhe, aber die Pfeife an den berühmten Nagel hängen sollte. Doch meine Schwester und ich ermutigten ihn: „Mach‘ einfach, worauf du Lust hast, was du noch kannst und was dir guttut.“ Und das Pfeifen tat ihm gut. Vater machte weiter – natürlich… Es lässt sich nicht zählen, wie viele Stunden, Tage er für seinen Sport unterwegs war und Kilometer gefahren ist. Natürlich gab es Aufwandsentschädigungen und in den höheren Ligen ein Honorar, doch richtig Geld verdient hat er mit dem Pfeifen ganz sicher nicht. Das stand bei ihm allerdings auch nicht an erster Stelle.
Mein Vater hat angekündigt, dass die bevorstehende Saison, in die er dann als Achtzigjähriger gehen wird, seine letzte sein wird. Ich weiß indes nicht so recht, ob ich ihm das glauben soll. Das macht allerdings auch nichts. Schließlich hält ihn das Pfeifen und vor allem der Austausch mit der Jugend noch fit und auf Trab. Und das freut mich und meine Schwester.



