Jutta Ehrmann-Wolf spricht im Interview mit dem HVNB über ihren Weg aus dem Karlsruher Handballkreis bis in die Beletage des Handballs. Foto: Marco Wolf

Jutta Ehrmann-Wolf: „Wir waren immer die Ersten“

Im Interview erzählt Jutta Ehrmann-Wolf, Leiterin des Schiedsrichterwesens beim Deutschen Handballbund und ehemalige Spitzenschiedsrichterin, wie sie als Vorreiterin Barrieren durchbrochen hat und welchen Tipp sie jungen Referees auf den Weg gibt. Sie spricht zudem über die aktuelle Situation im Schiedsrichterwesen und zeigt auf, wie der DHB sich für eine positive Entwicklung einsetzt.

HVNB-Online: Jutta, du warst mit deiner Teampartnerin Susanne Künzig 1996 das erste weibliche Gespann, das in der Männer Handball-Bundesliga eingesetzt wurde. Könntest du uns einen Einblick in euren Weg vom Karlsruher Handballkreis bis in die Handball-Elite geben?

Jutta Ehrmann-Wolf: Sehr gerne. Ich habe 1984 meinen Schiedsrichterschein gemacht, Susanne ein Jahr vor mir. Bei einer Sitzung des Handballkreises wurden wir  dann quasi zwangsverheiratet (lacht). Doch schnell haben wir festgestellt, dass es uns Freude bereitet, zusammen zu pfeifen. Wir sind Jahr für Jahr aufgestiegen, zunächst im Frauenbereich bis in die 3. Liga und schließlich – durch den Druck, den wir aufgebaut haben – auch bei den Männern. Nach zwölf Jahren als Team haben wir es dann in die Männer-Bundesliga geschafft. Sechs Jahre zuvor haben wir bereits in der Frauen-Bundesliga gepfiffen. 10 Jahre haben wir auf dem internationalen Parkett die Pfeife für Deutschland in vielen Wettbewerben der EHF und IHF ertönen lassen.

HVNB-Online: Welche besonderen Herausforderungen musstet ihr als weibliches Gespann auf eurem Weg meistern?

Jutta Ehrmann-Wolf: Zu der damaligen Zeit war es natürlich noch schwieriger für Frauen, in die Männer-Domäne Handball-Bundesliga vorzustoßen. Wir waren eigentlich in allen Ligen die ersten Frauen: die ersten in der Regionalliga im Süden, die ersten in der 2. Liga Süd, die ersten in der Männer-Bundesliga, und auch international bei den Europapokal-Spielen. Dabei traten natürlich immer wieder Hürden auf, die unsere männlichen Kollegen nicht zu bewältigen hatten. Teilweise gibt es diese Hürden – obwohl es schon so lange her ist – noch immer.

HVNB-Online: Aus deiner reichhaltigen Erfahrung: Gibt es einen spezifischen Ratschlag, den du angehenden Schiedsrichterinnen für ihre persönliche Entwicklung mit auf den Weg geben möchtest?

Jutta Ehrmann-Wolf: Das gebe ich nicht nur den Mädchen, sondern auch den Jungs mit. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass junge Referees lernen, mit Kritik umzugehen. Wenn Schiedsrichterinnen oder Schiedsrichter nicht in der Lage sind, teilweise auch unangemessene Kritik zu verkraften, dann wird es schwer sein, den Job auf Dauer zu machen. Dafür ist es wichtig, das Auftreten und die eigenen Entscheidungen gut zu reflektieren, und ein Umfeld zu schaffen, das hilft, die vielfältigen Erlebnisse auf dem Spielfeld zu verarbeiten.

HVNB-Online: Seit Juli 2021 bist du als hauptamtliche Leiterin für das Schiedsrichterwesen in Deutschland verantwortlich. Wie bewertest du die aktuelle Situation im Schiedsrichterwesen an der Basis und der Spitze?

Jutta Ehrmann-Wolf: An der Spitze sind wir sehr gut aufgestellt. Wir stellen seit Jahren internationale Spitzengespanne und sind bei allen großen Events nicht nur mit Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern, sondern inzwischen auch mit Delegierten vertreten. An der Basis haben wir die aktuelle Sorge, dass wir in den vergangenen Jahren zu viele Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter verloren haben. Die Corona-Pandemie wirkte auf diese Entwicklung wie ein Brandbeschleuniger. Zudem beobachten wir die allgemeine Entwicklung, dass Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern immer weniger Respekt entgegengebracht wird und rote Linien immer häufiger überschritten werden. So wird es zunehmend schwieriger, Menschen für das Schiedsrichterwesen zu begeistern.

HVNB-Online: Inwiefern unterstützt der DHB das Schiedsrichterwesen in den Vereinen und Verbänden?

Jutta Ehrmann-Wolf: Wir versuchen grundsätzlich, über die Strahlkraft des Dachverbandes die Basis bestmöglich zu unterstützen. Unser Ziel ist es, mit unseren Spitzengespannen wie Tanja Kuttler und Maike Merz oder Robert Schulze und Tobias Tönnies Vorbilder zu schaffen und zu zeigen, wie eine Karriere an der Pfeife bis zur Weltmeisterschaft oder sogar zu Olympischen Spielen führen kann. Daneben arbeiten wir eng mit unseren Landesverbänden, die die Herausforderungen an der Basis viel besser kennen, zusammen und starten Aktionen, um das Schiedsrichterwesen an jeder Stelle voranzubringen.

HVNB-Online: Die Aktion “Breite trifft Spitze” wurde zuletzt bei den German Handball Awards mit dem Engagementpreis ausgezeichnet. Könntest du uns näher erläutern, was diese Initiative beinhaltet und wie sie dazu beiträgt, dem Schiedsrichtermangel entgegenzuwirken?

Jutta Ehrmann-Wolf: Im Rahmen der Aktion werden Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter zu ausgewählten Spielen der Handball-Bundesliga, des Supercups und sogar zu Länderspielen eingeladen. Im Nachgang des Spiels ermöglichen wir ein Meet & Greet mit den eingesetzten Elite-Gespannen oder Delegierten. Die Maßnahme trägt dazu bei, die vorhandenen Schiedsrichter wertzuschätzen, ihnen die vielseitigen Mehrwerte des Pfeifens aufzuzeigen und langfristig an die Schiedsrichtertätigkeit zu binden. Die Aktion kommt hervorragend an und wird dank der großartigen Unterstützung der Vereine, die regelmäßig Tickets zur Verfügung stellen, bereits vielerorts umgesetzt.

HVNB-Online: Möchtest du zum Abschluss noch etwas loswerden?

Jutta Ehrmann-Wolf: Es ist deutlich erkennbar, dass im Handballverband Niedersachsen-Bremen mit viel Herzblut für das Schiedsrichterwesen gekämpft wird. Ich freue mich, dass mit dem ‚Jahr des Schiedsrichters‘ im Verband eine hervorragende Kampagne läuft. Viele Bausteine des ‚Jahr des Schiedsrichters‘ werden wir als Best Practice Modelle den anderen Landesverbänden präsentieren, damit alle davon profitieren können.

HVNB-Online: Vielen Dank für das Interview.

Deine Entscheidung. Aus Liebe zum Spiel.

Unter diesem Motto rückt der Handballverband Niedersachsen-Bremen e.V. (HVNB) in der Saison 2023/24 das Schiedsrichterwesen in den Fokus. Im “Jahr des Schiedsrichters” werden umfangreiche Maßnahmen zur Stärkung des Schiedsrichterwesens umgesetzt. Alle Informationen sowie Maßnahmen sind auf der Kampagnenseite zu finden: Jahr des Schiedsrichters.

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